
Typ-2-Diabetes: Risikomanagement jenseits von HbA1c
Bericht:
Reno Barth
Ein ausschließlich auf die glykämische Kontrolle ausgerichtetes Management des Typ-2-Diabetes (T2D) brachte suboptimale Ergebnisse. Weder gelang es, das Übergewicht in den Griff zu bekommen, noch wurden mit intensivierter Glukosesenkung harte Endpunkte relevant verbessert. Neuere Substanzgruppen wie SGLT2-Inhibitoren und Inkretinmimetika tragen dagegen zu einer signifikanten Verbesserung der Prognose bei.
Das heute weitgehend akzeptierte pathophysiologische Modell des T2D geht davon aus, dass es unter zunehmender Insulinresistenz zu einer Kompensation der steigenden Blutzuckerspiegel durch gesteigerte Insulinproduktion in der Betazelle kommt. Dies führt zu Stress und Überlastung der Betazelle, die langsam versagt, was mit Zelltod oder Verlust der Differenzierung endet.1 Die zunehmende Insulinresistenz ist Folge von Übergewicht und Fettakkumulation. Mit der Fettakkumulation kommt es zur Hypertrophie und schließlich Nekrose von Adipozyten mit folgender Immunaktivierung. Proinflammatorische Zytokine sowie Leptin und Resistin werden hochreguliert, Adiponectin downreguliert.
Geht es um die Genese der Adipositas, stellen sich nach wie vor ungelöste Fragen. Die Annahme, dass es sich lediglich um ein Problem erhöhter Energiezufuhr bei reduziertem Energieverbrauch (Bewegungsmangel) handle, wurde bereits früh infrage gestellt. Prim. Univ.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Marcus Säemann, Vorstand der 6. Medizinischen Abteilung mit Nephrologie und Dialyse an der Klinik Ottakring, Wien, betont, dass es sich dabei um eine Tautologie und keine Erklärung handelt. Er verweist auf Arbeiten des 1938 in die USA geflüchteten Wiener Endokrinologen Julius Bauer, der in den 1920er-Jahren darauf hinwies, dass das Fettgewebe kein passiver Speicher, sondern ein lebendiger und aktiver Teil des Körpers ist, der an zahlreichen Regelprozessen teilnimmt. Bauer gelangte zu dem Schluss, dass Fettgewebe sich wie ein maligner Tumor verhalten und sich auf Kosten des restlichen Organismus erhalten kann. Ende der 1940er-Jahre wiesen Wertheimer und Shapiro darauf hin, dass sich Fettgewebe in einem kontinuierlichen Gleichgewicht von Speicherung und Mobilisierung befindet und es einen regulierenden Faktor geben müsse, der direkt an der Fettzelle angreift.2
Zuviel Körpergewicht dank zu hoher Insulinspiegel
Säemann betont, wie eng die Fettakkumulation durch diesen Faktor, das Insulin, reguliert wird: „Unter Insulineinfluss wird Zucker in Fett umgewandelt und der Fettabbau blockiert. Wir dürfen angesichts dieser Zusammenhänge keinesfalls Menschen die Schuld an ihrem Übergewicht zuweisen.“ Aus dieser Perspektive sind frühere Ansätze der Diabetestherapie kritisch zu sehen. Diese haben sich lange Zeit ausschließlich am Ziel der glykämischen Kontrolle bzw. eines niedrigen HbA1c orientiert. Studiendaten zeigen, dass in einer T2D-Population die Gesamtmortalität erst jenseits eines HbA1c von 8% relevant zu steigen beginnt und unterhalb von 6% ebenfalls ein Anstieg zu beobachten ist.3 Eine Metaanalyse von 5 Studien zeigte, dass Standardmanagement im Vergleich zur intensivierten Glukosesenkung hinsichtlich Gesamtmortalität, kardiovaskulärer Mortalität und mikrovaskulärer Ereignisse besser abschneidet.4 Ebenso wurden mit intensivierter Lebensstilmodifikation in der Look-AHEAD-Studie keinerlei Effekte auf Mortalität und kardiovaskuläre Ereignisse erreicht. Auch die Wirkung auf das Körpergewicht war überschaubar und nicht nachhaltig.5
Studienergebnisse zu relativ neuen Substanzgruppen zeigen, dass diese bei Personen mit T2D über die glukosesenkende Wirkung hinaus die Gewichtsreduktion unterstützen und harte klinische Endpunkte günstig beeinflussen. Dies wurde zuerst für den SGLT2-Inhibitor Empagliflozin gezeigt.6 Weitere SGLT2-Inhibitoren folgten. Säemann: „Mit diesen Therapien leben die Leute länger. Nicht weil sie mehr Gewicht verlieren, sondern weil diese Substanzen organprotektiv wirksam sind.“
Sehr wohl Einfluss auf das Gewicht, dabei aber auch organprotektive Wirkung haben die GLP-1-Analoga. Säemann weist auch auf das Potenzial der neuen dualen Agonisten hin, mit denen in Studien bis zu 20% Gewichtsreduktion innerhalb eines Jahres erreicht werden. Darüber hinaus dürfe die Ernährungstherapie noch nicht abgeschrieben werden. Studien zeigen gute Ergebnisse mit individualisierten Empfehlungen, mit denen sich auch der Insulinspiegel beeinflussen lässt.7
Quelle:
„Favoriten in der Kardiologie“, Fortbildungstagung am 22. März 2025 in Wien
Literatur:
1 Christensen AA, Gannon M: Curr Diab Rep 2019; 19(9): 81 2 Wertheimer E, Shapiro B: Physiol Rev 1948; 28(4): 451-64 3 Arnold LW, Wang Z: Rev Diabet Stud 2014; 11(2): 138-52 4 Boussageon R et al.: BMJ 2011; 343: d4169 5 Look AHEAD Research Group: N Engl J Med 2013; 369(2): 145-54 6 Zinman B et al.: N Engl J Med 2015; 373(22): 2117-28 7 Hallberg SJ et al.: Diabetes Ther 2018; 9(2): 583-612
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