
Interdisziplinäre Therapie der intrazerebralen Blutung
Autoren:
PD Dr. Kosmas Macha
Prof. Dr. Stefan Schwab
Neurologische Klinik
Universitätsklinikum Erlangen
Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen-Nürnberg (FAU), Erlangen
E-Mail: kosmas.macha@uk-erlangen.de
Aktuelle Studienergebnisse brachten erstmals einen positiven Effekt operativer Therapieverfahren auf das funktionelle Outcome bei Patient:innen mit intrazerebraler Blutung. Für die Umsetzung in der klinischen Praxis scheint eine exakte Patient:innenselektion von besonderer Bedeutung zu sein. Dies stellt eine Herausforderung in der interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Neurologie und Neurochirurgie dar.
Keypoints
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ICB ist weiterhin ein primär konservativ zu behandelndes Krankheitsbild.
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Schwer betroffene Pati-ent:innen werden auf der Neuro-Intensivstation behandelt.
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Herausfordernd ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Neurologie und Neurochirurgie bei potenziell ergänzenden neurochirurgischen Maßnahmen.
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Die Umsetzung in der klinischen Praxis sollte nach möglichst standardisiertem Vorgehen bei selektierten Patient:innen erfolgen.
Externe Ventrikeldrainage – wann, und wenn, wie viele?
Eine externe Ventrikeldrainage (EVD) ermöglicht bei Patient:innen mit intrazerebraler Blutung (ICB) mit intraventrikulären Blutungsanteilen (IVH) neben der Liquordrainage die Therapie mittels intraventrikulärer Fibrinolyse (IVF). Für die kombinierte IVF mit lumbaler Drainage konnte eine Reduktion der Rate an dauerhafter Shunt-Abhängigkeit bei ICB-assoziiertem aresorptivem Hydrozepahlus (1/45 (2,2%) vs. 11/42 (26,2%), OR (95% CI) 0,062 (0,011–0,361); p=0,002) gezeigt werden.1
Zudem wurden in einer auf individuellen Teilnehmerdaten basierenden Metaanalyse 596 Patient:innen mit IVF vs. 905 Patient:innen mit Standardtherapie verglichen. Dabei konnte ein positiver Effekt der IVF auf das funktionelle Outcome mit einem absoluten Behandlungseffekt von 9,3% (95% CI: 4,4–14,1) für das Erreichen eines Scores von 0–3 auf der modifizierten Rankin-Skala (mRS) nach 6 Monaten gezeigt werden. Der Behandlungseffekt war mit einem frühzeitigen Beginn der IVF (<48h) verbunden.2
Daten zur Untersuchung des Einsatzes einzelner im Vergleich mit dualen EVD zur IVF liegen nur aus kleinen Studien vor. Ein Vergleich der IVF mittels einzelner und dualer EVD (13 vs. 14 Patient:innen) erbrachte keine Unterschiede in Bezug auf die Reduktion der intraventrikulären Blutungsanteile, jedoch einen Trend für häufigere EVD-Infektionen bei dualer EVD-Anlage.3 Ein Nutzen der dualen EVD-Anlage scheint bei Patient:innen mit großer IVH (>40ml) und Ventrikel-Trapping zu bestehen.4
Wann Hämatomevakuation, und wenn, wie?
In den großen randomisierten Studien STICH II5 und MISTIE III6 ist es nicht gelungen, mit operativen Therapieverfahren einen signifikanten Therapieeffekt auf das funktionelle Outcome nachzuweisen. In der STICH-II-Studie5 wurden Patient:in-nen mit spontanen lobären Blutungen zur frühzeitigen operativen Versorgung (<48h nach Blutungsereignis) vs. primär konservative Behandlung randomisiert. Als operatives Therapieverfahren kam vorwiegend die Kraniotomie (98%) zum Einsatz. Bei 21% der Patient:innen der initial konservativ behandelten Gruppe erfolgte eine operative Versorgung aufgrund einer klinischen Verschlechterung im weiteren Verlauf. Die Rekrutierung der insgesamt 601 Patient:innen (307 frühzeitige operative Versorgung vs. 294 initial konservative Behandlung) erfolgte an 78 Zentren in 27 Ländern, womit von einer sehr heterogenen Studienpopulation auszugehen ist. Ein ungünstiges Outcome anhand der Extended Glasgow Outcome Scale (GOSE) nach 6 Monaten ergab sich bei 59% der Patient:innen mit frühzeitiger operativer Versorgung und bei 62% der Patient:innen mit initial konservativer Behandlung bei einer absoluten Differenz (AD) von 3,7% (95% CI: -4,3–11,6) und einer OR von 0,86 (0,62–1,20; p=0,367).
In der MISTIE-III-Studie6 wurden Patient:innen mit spontanen supratentoriellen Blutungen mit einem Blutungsvolumen von mindestens 30ml zur minimalinvasiven Katheterevakuation mit folgender Thrombolyse mittels eines rekombinanten gewebespezifischen Plasminogenaktivators („recombinant tissue plasminogen activator“, rtPA) vs. konservative Standardtherapie randomisiert. Nach Screening von insgesamt 19942 Patient:innen konnten 506 Patient:innen in die Studie eingeschlossen werden. 250 Patient:innen erhielten eine Behandlung entsprechend dem MISTIE-Protokoll und 249 wurden mit konservativer Standardtherapie behandelt. Die Blutungsvolumina waren in beiden Gruppen ausgeglichen: 45,8ml (35,4–59,6ml)vs. 45,3ml (35,4–57,2ml),und sie waren in vorwiegend tiefer Blutungslokalisation (65% vs. 58%). Bei 58% der nach MISTIE-Protokoll behandelten Patient:innen konnte eine Reduktion des Blutungsvolumens auf den im Protokoll vorgegeben Zielwert von <15ml erreicht werden. Ein Therapieeffekt auf das funktionelle Outcome für den primären Effektivitätsendpunkt mRS-Score 0–3 nach 365 Tagen (45% vs. 41%, aRD 4%, 95% CI: -4–12; p=0,33) konnte nicht nachgewiesen werden.
Die 2024 publizierte ENRICH-Studie7 ist die erste randomisiert-kontrollierte Studie, die eine Verbesserung des funktionellen Outcomes durch operative Versorgung bei ICB-Patient:innen zeigen konnte. Nach einem Screening von insgesamt 11603 Patient:innen konnten 300 Patient:innen mit supratentorieller ICB (lobär oder anteriore Basalganglien) und Blutungsvolumina von 30–80ml im 24-Stunden-Zeitfenster eingeschlossen werden. Hiervon wurden 150 Patient:innen mittels minimalinvasiver (transsulkaler parafaszikularer) Operation und 150 Patient:innen mit konservativer Standardtherapie behandelt. Entsprechend dem Studiendesign wurde die Rekrutierung von Pati-ent:innen mit ICB der anterioren Basalganglien aufgrund von Futilität nach der zweiten Interimsanalyse gestoppt. Die insgesamt positiven Werte für den primären Effektivitätsendpunkt (Utility-weighted modified Rankin scale, UW-mRS) nach 180 Tagen: 0,458 vs. 0,374 ED 0,084 (95% CI: 0,005–0,163; „Posterior probability of superiority of surgery“ 0,981, „Prespeficied threshold for superiority“ ≥0,975)) für operativ behandelte Pati-ent:innen ist daher auf die Gruppe der Patient:innen mit lobären Blutungen (n=199) zurückzuführen. Daten zur Umsetzung des Studienansatzes in die klinische Praxis sind bislang ausstehend.
Wann dekompressive Hemikraniektomie, wer profitiert?
Die Begrenzung von therapeutischen Maßnahmen konnte als wichtigster Prädiktor für das Outcome bei ICB-Patient:innen gezeigt werden. Dementgegen scheinen einige schwer betroffene Patient:innen bei aggressiver Behandlung dennoch ein akzeptables neurologisches Outcome erreichen zu können.8 Aktuelle Prognose-Scores wie der max-ICH Score können zur Verbesserung der Prognoseabschätzung bei Patient:innen mit ICB beitragen und somit möglicherweise zur Minimierung von Therapieeinschränkungen aufgrund eines fälschlich angenommenen schlechten Outcomes führen.9 Eine möglichst exakte Prognoseabschätzung bei schwer betroffenen Patient:innen erscheint insbesondere bei der Entscheidung für oder gegen invasive Therapieverfahren wichtig.
Die 2024 veröffentlichte randomisierte SWITCH-Studie10 untersuchte die dekompressive Hemikraniektomie (DHC) bei Patient:innen mit schwerer ICB der Basalganglien oder des Thalamus mit einem Blutungsvolumen von mindestens 30ml innerhalb von 72 Stunden nach Blutungsereignis. Die Studie wurde wegen fehlender Finanzierung vorzeitig abgebrochen. Insgesamt konnten 201 Patient:innen (geplant 300 Patient:innen) randomisiert werden, wobei 96 Patient:innen der Therapie mittels DHC und 101 Patient:innen der konservativen Standardtherapie zugeteilt wurden. Die Cross-over-Rate zwischen den Behandlungsgruppen lag bei 1% in der DHC-Gruppe und 8% in der Gruppe mit konservativer Standardtherapie. Weitere relevante Protokollverletzungen erfolgten bei insgesamt 45 Patient:innen. Das mediane Blutungsvolumen lag bei 57ml mit einem Interquartilsabstand (IQR) von 44–74, das mediane Alter bei 61 Jahren (IQR 51–68). In der primären Outcome-Analyse konnte kein signifikanter Therapieeffekt für den primären Endpunkt (mRS-Score 5–6 nach 180 Tagen) nachgewiesen werden. In der ergänzten Per-Protokoll-Analyse trat ein mRS-Score von 5–6 bei 36/77 (47%) der DHC-Patient:innen und 44/73 (60%) der Patient:innen mit konservativer Standardtherapie bei einer Reduktion des absoluten Risikos (aRR) von 0,76 (95% CI: 0,58–1,00) und einer aRD von -15% (95% CI: -28–0) auf. Es konnte somit eine schwache Evidenz für eine mögliche Überlegenheit der DHC bei Pati-ent:innen mit schwerer Loco-typico-ICB gezeigt werden, wobei das Überleben meist mit schwerer Behinderung verbunden war (mRS-Score4).
Entsprechend den ergänzten Subgruppenanalysen scheinen vorallem jüngere, schwer betroffene Patient:innen mit einem Alter <70 Jahren, einem Blutungsvolumen >60ml und einem National Institutes of Health Stroke Scale (NIHSS) Score >20 von der DHC zu profitieren. Eine retrospektive Zustimmung zur Behandlung mit DHC konnte bei 48/62 (77%) der behandelten Patient:innen gezeigt werden.
Literatur:
1 Staykov D et al.: Efficacy and safety of combined intraventricular fibrinolysis with lumbar drainage for prevention of permanent shunt dependency after intracerebral hemorrhage with severe ventricular involvement: a randomized trial and individual patient data meta-analysis. Ann Neurol 2017; 81(1): 93-103 2 Kuramatsu JB et al.: Association of intraventricular fibrinolysis with clinical outcomes in intracerebral hemorrhage: an individual participant data meta-analysis. Stroke 2022; 53(9): 2876-86 3 Staykov D et al.: Single versus bilateral external ventricular drainage for intraventricular fibrinolysis in severe ventricular haemorrhage. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2010; 81(1): 105-8 4 Hinson HE et al.: Drainage efficiency with dual versus single catheters in severe intraventricular hemorrhage. Neurocritical care 2012; 16(3): 399-405 5 Mendelow AD et al.: Early surgery versus initial conservative treatment in patients with spontaneous supratentorial lobar intracerebral haematomas (STICH II): a randomised trial. Lancet 2013; 382(9890): 397-408 6 Hanley DF et al.: Efficacy and safety of minimally invasive surgery with thrombolysis in intracerebral haemorrhage evacuation (MISTIE III): a randomised, controlled, open-label, blinded endpoint phase 3 trial. Lancet 2019; 393(10175): 1021-32 7 Pradilla G et al.: Trial of early minimally invasive removal of intracerebral hemorrhage. N Engl J Med 2024; 390(14): 1277-89 8 Becker KJ et al.: Withdrawal of support in intracerebral hemorrhage may lead to self-fulfilling prophecies. Neurology 2001; 56(6): 766-72 9 Sembill JA et al.: Multicenter validation of the max-ICH Score in intracerebral hemorrhage. Ann Neurol 2021; 89(3): 474-84 10 Beck J et al.: Decompressive craniectomy plus best medical treatment versus best medical treatment alone for spontaneous severe deep supratentorial intracerebral haemorrhage: a randomised controlled clinical trial. Lancet 2024; 403(10442): 2395-404
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