
Oberarmverlängerung bei kongenitalen und posttraumatischen Verkürzungen
Autor:
Univ.-Prof. Dr. Gerald E. Wozasek
Orthopädie/Sporttraumatologie/Unfallchirurgie
Teamarzt Ski Austria
Med6 Ärztezentrum, Wien
E-Mail: ordination@wozasek.at
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Intramedulläre motorisierte Teleskopnägel haben die Verlängerung des Oberarms revolutioniert. Sie ermöglichen eine kontrollierte Elongation mit weniger Komplikationen und höherem Patientenkomfort im Vergleich zu externen Verfahren. Im folgenden Artikel werden fünf Patient:innen vorgestellt, die mittels eines elektromagnetisch gesteuerten intramedullären Teleskopnagels antegrad armverlängernd behandelt wurden.
Keypoints
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Die IMTN-Systeme stellen eine innovative Weiterentwicklung der klassischen Kallusdistraktion dar – mit internem Ansatz, hoher Steuerbarkeit und größerem Komfort.
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Sie bieten deutlich reduzierte Komplikationsraten, präzise Verlängerung und frühere Mobilität, allerdings ist der technische Aufwand höher und die Systeme sind kostenintensiver.
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Umfangreiche klinische Erfahrungen in der Oberarmmarknagelung sind jedoch Voraussetzung für die intramedulläre Humerusverlängerung.
Eine signifikante Humerusverkürzung kann durch angeborene Fehlbildungen oder traumatische Verletzungen verursacht werden. Dies führt nicht nur zu funktionellen Einschränkungen im Alltag, sondern auch häufig zu ästhetischer Unzufriedenheit. Konventionelle Verfahren wie der Einsatz externer Fixateure sind mit langer Behandlungsdauer, erhöhtem Infektionsrisiko an den Pin-Stellen und hoher Belastung für den Patienten verbunden. Der magnetisch gesteuerte intramedulläre Teleskopnagel stellt eine weniger invasive und patientenfreundliche Alternative dar. Dieses System ermöglicht eine kontrollierte Distraktion des Teleskopnagels durch ein externes programmierbares Steuergerät mit rotierenden Magneten. Im Vergleich zur externen Fixation bietet dieses Verfahren zahlreiche Vorteile: eine verkürzte Behandlungsdauer, ein geringeres Infektionsrisiko im Bereich der Haut-Pin-Übergänge, eine reduzierte Narbenbildung, eine geringere Beeinträchtigung benachbarter Gelenke sowie den Wegfall eines schweren und sperrigen äußeren Rahmens am Oberarm. Allerdings sind auch bei implantierbaren Systemen Komplikationen beschrieben worden – darunter Osteomyelitiden, technische Defekte des Distraktionsmechanismus sowie das Brechen oder Wandern von Verriegelungsbolzen. Darüber hinaus ist die maximal erreichbare Verlängerung durch den Durchmesser des verwendeten Nagels begrenzt. Zu beachten ist zudem, dass die Verlängerung ausschließlich entlang der mechanischen Achse erfolgen kann. Dies erschwert das Verfahren insbesondere bei komplexen Deformitäten.
Während die Anwendung solcher Systeme an den unteren Extremitäten gut dokumentiert ist, existieren bislang nur wenige klinische Berichte zur Anwendung am Oberarm. Diese Studie präsentiert die klinischen und radiologischen Ergebnisse bei fünf Patienten mit kongenitaler oder posttraumatischer Humerusverkürzung, die zwischen 2017 und 2022 mit einem elektromagnetisch gesteuerten intramedullären Nagel (IMTN) behandelt wurden.
Patienten und Methode
In dieser retrospektiven Fallserie wurden fünf erwachsene Patienten (drei Männer, zwei Frauen) mit klinisch relevanter Humerusverkürzung eingeschlossen. Die durchschnittliche Altersverteilung lag bei 30,8±10,3 Jahren. Alle Operationen wurden von demselben Chirurgen an einer universitären unfallchirurgischen Einrichtung durchgeführt. Die präoperative Planung erfolgte mittels standardisierter Röntgendiagnostik zur Auswahl von Nagellänge und -durchmesser. Bei einer Distraktionsstrecke von mehr als 5cm kam eine modifizierte Technik zum Einsatz.
Operationstechnik
Alle Eingriffe erfolgten in Allgemeinanästhesie in Strandstuhlposition. Verwendet wurde ein PRECICE®-Tibiannagel (NuVasive) mit 8,5mm Durchmesser, einer Krümmung von 10° und einer Länge von 215mm. Der Eintrittspunkt lag mittig im Humeruskopf und wurde durch einen längsgerichteten Schnitt durch die Rotatorenmanschette erreicht. Nach Aufbohren des Markkanals erfolgte eine transversale Osteotomie distal der Insertion des Musculus deltoidus mit Bohrlöchern und Meißel in einer „Mini-open-Technik“ zum Schutz des Speichennervs. Die initiale Distraktion begann am 5. postoperativen Tag mit einer Rate von 1mm/Tag. War eine Verlängerung von mehr als 5cm geplant, erfolgte nach durchschnittlich 72,5 Tagen eine erneute Operation. Zur temporären Stabilisierung während dieses Vorgangs wurde ein einseitiger Fixateur montiert (Abb. 3). Dieser wurde dabei mit je einem Pin im distalen Fragment und in der proximalen Humerusmetaphyse montiert, um Länge, Achse und Rotation während des Zurückdrehens des Nagels zu erhalten. Die distalen Verriegelungsbolzen wurden minimalinvasiv entfernt. Der IMTN wurde dann unter Bildverstärkerkontrolle mit dem externen Controller um 1,5–2cm zurückgedreht. Dieser Vorgang nahm ursprünglich mehrere Stunden mit kontinuierlicher Aktivierung in Anspruch. Ein neu entwickeltes „Fast-Distraktor“-Gerät verkürzt die Zeit nun auf wenige Minuten. Danach wurden neue proximale Verriegelungslöcher gebohrt, Bolzen gesetzt und der temporäre Fixateur wurde extern abgebaut. Die Distraktion wurde am Folgetag mit einer reduzierten Rate von 0,33mm zweimal täglich fortgesetzt. Die Physiotherapie wurde fortgeführt, um Kontrakturen zu vermeiden. Die Patienten bedienten den externen Controller eigenständig. Die Distraktion wurde bis zur gewünschten Verlängerung (max. 70mm) fortgeführt. Alle Patienten erhielten während der Distraktionsphase Kalzium- und Vitamin-D-Präparate zur Förderung der Knochenneubildung.
Abb. 3: Intraoperativer Einsatz eines Fixateur externe zur tempörären Stabilisierung während des „rewindings“ des Nagels
Ergebnisse
Fünf Patienten (3 Männer, 2 Frauen; Durchschnittsalter 30,8±10,3 Jahre) wurden mit antegrader Humerusverlängerung behandelt. Die Verkürzungen waren kongenital (3 Fälle) oder posttraumatisch bedingt (2 Fälle). Ein Patient hatte sich vorherig einer Rotatorenmanschettenoperation unterzogen. Vier der fünf Patienten erhielten eine erweiterte Verlängerung und erreichten mehr als 5cm. Die durchschnittliche endgültige Verlängerung betrug 6,1cm (Spanne: 4–7cm). Bei einem Patienten mussten die proximalen Verriegelungsbolzen wegen Lockerung und leichter Schulterschmerzen entfernt werden. Die knöcherne Heilung wurde in allen Fällen radiologisch bestätigt. Es traten keine Pseudarthrosen, neurovaskulären Defizite oder Weichteilkomplikationen auf. Am Ende der Behandlung berichteten alle Patienten über eine hohe Zufriedenheit und eine vollständige Wiederherstellung der präoperativen Schulterbeweglichkeit. Der repräsentative Fall einer 26-jährigen Patientin mit einer kongenitalen Humerusverkürzung rechts (6,5cm) mit begleitender Dysplasie des Humeruskopfes soll einen möglichen interventionellen Verlauf visuell skizzieren (Abb. 1 und 2).
Diskussion
Mit der Einführung voll implantierbarer Verlängerungsmarknägel wurde das von Ilizarov etablierte Prinzip der Kallusdistraktion grundlegend transformiert. Aktuell sind nur zwei motorisierte intramedulläre Verlängerungsnägel – Fitbone® und PRECICE® – in der Literatur für Humerusverlängerungen beschrieben. Unsere Studie ergänzt die Datenlage um eine Fallserie mit dem ursprünglich für die Tibia entwickelten PRECICE®-Nagel. Durch die fixe Länge und gerade Form des Nagels ergeben sich technische Herausforderungen, besonders bei ausgeprägten Knochendeformitäten oder engem Markkanal. Leichte Deformitäten können jedoch meist intraoperativ korrigiert werden. Das Zurückdrehen des Nagels bei erweiterter Verlängerung stellte zunächst eine logistische Herausforderung dar, da dies über mehrere Stunden fluoroskopisch überwacht werden musste. Der neue „Fast-Distraktor“ verkürzt den Vorgang auf wenige Minuten. Obwohl das Zurückdrehen und die zusätzliche Fixation theoretisch das Risiko für Radialisverletzungen erhöhen, insbesondere bei distaler Verriegelung oder beim Anbringen eines Fixateurs, traten in unserer Serie keine derartigen Komplikationen auf.
In einer ähnlichen Fallserie von Hammouda et al. betrug die durchschnittliche Humerusverlängerung 5,1cm (Spanne: 4,5–5,8cm), während in unserer Serie ein Mittelwert von 6,1cm (Spanne: 4–7cm) erreicht wurde. In anderen Studien berichtete Komplikationen umfassen Radialisparese, Schädigung der Rotatorenmanschette durch Stromkabel, mechanisches Versagen und Bewegungseinschränkungen in Schulter und Ellbogen. Der retrograde Zugang im suprakondylären Bereich des Humerus schont die Schulterrotatorenmanschette, birgt jedoch ein relatives hohes Frakturrisiko. Obwohl die Ergebnisse ermutigend sind, sollten sie aufgrund der geringen Fallzahl und der heterogenen Ursachen (kongenital und posttraumatisch) mit Vorsicht interpretiert werden. Umfangreiche klinische Erfahrungen in der Oberarmmarknagelung sind jedoch Voraussetzung für die intramedulläre Humerusverlängerung.
Schlussfolgerungen
Die motorisierte antegrade intramedulläre Humerusverlängerung mit dem PRECICE®-Nagel stellt eine effektive Methode zur Korrektur von Armlängendifferenzen bei Erwachsenen dar. Diese Technik bietet im Vergleich zur externen Fixation bedeutende Vorteile, darunter weniger Weichteilkomplikationen, besseren Patientenkomfort und eine schnellere Rehabilitation. Die modifizierte Technik der erweiterten Verlängerung ermöglicht eine Distraktion über die herstellerseitige Begrenzung hinaus – ohne relevante Komplikationen. Weitere Studien sind notwendig, um diese Ergebnisse zu validieren und die Technik weiter zu standardisieren. Alle Patienten dieser Serie zeigten eine solide knöcherne Konsolidierung sowie eine Wiederherstellung der präoperativen Schulterbeweglichkeit und berichteten über eine hohe Zufriedenheit mit dem funktionellen und ästhetischen Ergebnis. Die erweiterte Verlängerung mittels Zurückdrehen des Nagels ermöglichte eine Humerusverlängerung über die Standardkapazität des Implantats hinaus, ohne relevante Komplikationen.
Weitere prospektive Studien mit größerer Fallzahl und längerer Nachbeobachtungszeit sind notwendig, um diese Ergebnisse zu bestätigen und die chirurgischen Protokolle weiter zu optimieren.
Literatur:
beim Verfasser
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