
Psychotherapie der chronischen insomnischen Störung: Stand der Forschung und aktuelle Entwicklungen
Autor:innen:
Priv.-Doz. Dr. phil. Elisabeth Hertenstein1
Carlotta L. Schneider, MSc1
Prof. Dr. med. Christoph Nissen1,2
1 Département de psychiatrie, Faculté de Médecine, Université de Genève
2 Département de psychiatrie, Hôpitaux Universitaires de Genève (HUG)
E-Mail: elisabeth.hertenstein@unige.ch
Die chronische insomnische Störung ist durch Beschwerden zu gestörtem Schlaf und eine damit verbundene reduzierte Leistungsfähigkeit charakterisiert. Die kognitive Verhaltenstherapie der Insomnie (KVT-I) ist gemäss aktuellen Leitlinienempfehlungen die Therapie der ersten Wahl. Die KVT-I ist jedoch im klinischen Alltag unzureichend umgesetzt. Verschiedene Ansätze könnten zu einer verbesserten Implementierung der KVT-I beitragen.
Keypoints
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Die chronische insomnische Störung ist als Beschwerde über einen gestörten Schlaf einhergehend mit reduzierter Tagesbefindlichkeit definiert.
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Die Beschwerden treten in mindestens drei Nächten pro Woche über mindestens drei Monate auf und sind nicht durch eine andere Erkrankung erklärt.
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Bei der Diagnose steht die klinische Anamnese im Vordergrund. Objektivierende Messungen sind primär zum Ausschluss organischer Schlafstörungen indiziert.
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Die kognitive Verhaltenstherapie der Insomnie (KVT-I) ist Therapie der ersten Wahl und kann auch bei Patient:innen mit Komorbidität effektiv angewendet werden.
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Digitale Therapieangebote und alternative Therapiekonzepte können helfen, verhaltenstherapeutische Angebote besser in die Versorgungslandschaft zu integrieren.
Gemäss dem Schweizer Bundesamt für Statistik nehmen Berichte über Schlafprobleme seit 25 Jahren zu. Etwa ein Drittel der Bevölkerung gibt an, regelmässig von gestörtem Schlaf betroffen zu sein. Dementsprechend häufig sind Ärzt:innen in verschiedenen Fachgebieten, einschliesslich Allgemeinmedizin, Psychiatrie und Neurologie, in ihrer täglichen Arbeit mit Patient:innen in Kontakt, die über schlechten Schlaf berichten.
Langzeituntersuchungen zeigen jedoch, dass die subjektiv geschätzte Schlafdauer pro Nacht seit den Siebzigerjahren nur um einige Minuten zurückgegangen ist. Weitere Untersuchungen sind daher notwendig, um zu klären, ob die zunehmenden Berichte von Schlafbeschwerden einen objektiven Schlafmangel oder eher eine zunehmende Besorgnis reflektieren.
Chronische insomnische Störung
Gemäss internationalen Klassifikationssystemen ist eine insomnische Störung definiert als Beschwerden über eine unzureichende Schlafqualität oder -quantität, die mindestens dreimal pro Woche auftreten, über einen Zeitraum von mindestens 3 Monaten anhalten und mit einer erlebten Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit oder Lebensqualität am Tag einhergehen.1 Etwa 6–10% der Allgemeinbevölkerung erfüllen diese diagnostischen Kriterien. Bei Patient:innen mit psychischen oder körperlichen Erkrankungen liegt die Prävalenz deutlich höher.
Die Tagessymptomatik der insomnischen Störung äussert sich häufig in Form von Müdigkeit und Abgeschlagenheit, dem Gefühl einer reduzierten Konzentrations- und Aufmerksamkeitsfähigkeit sowie in Form von Sorgen über schlechten Schlaf und mögliche Folgeerscheinungen. Eine insomnische Störung wird dann diagnostiziert, wenn die Symptome nicht besser durch eine andere psychische Erkrankung, eine andere Schlafstörung, eine körperliche Erkrankung oder den Einfluss von Substanzen erklärbar sind. Zum Ausschluss organischer Schlafstörungen, insbesondere eines Schlafapnoe-Syndroms, kann differenzialdiagnostisch eine Polygrafie oder Polysomnografie indiziert sein. Zum «Beweis» des subjektiven Erlebens in Bezug auf Schlaf ist eine apparative Untersuchung ungeeignet und somit auch nicht indiziert. Hier ist die Beschwerde der Patient:innen ausreichend und klinisch richtungsweisend.
Eine zunächst möglicherweise kontraintuitive, aber mittlerweile vielfach belegte Beobachtung ist, dass der objektiv gemessene Schlaf von Patient:innen mit insomnischer Störung und hohem subjektivem Leidensdruck oft wenig gestört ist. Die gemessene Schlafdauer ist teils nicht oder nur um Minuten gegenüber gesunden Proband:innen verkürzt, wohingegen Schlaf subjektiv oft um Stunden verkürzt erlebt wird. Bei Weckungen aus dem Tiefschlaf berichten Patient:innen nicht signifikant öfter eine direkte Wachwahrnehmung als gesunde Proband:innen.
Prädiktiv für eine Wachwahrnehmung scheint nicht die insomnische Störung, sondern gruppenunabhängig ein erhöhtes kortikales Arousal im Schlaf. Dies ist verknüpft mit der Idee eines Schlaf-Wach-Kontinuums, was bedeutet, dass sich Schlaf und Wachheit nicht vollständig gegenseitig ausschliessen, sondern auch koexistieren können.
Aus einer evolutionsbiologischen Perspektive scheint es wichtig, eine gewisse Wachaktivität mit Informationsaufnahme und -verarbeitung auch im Schlaf aufrechtzuerhalten, wie für Tiere auf hoher See beobachtet.2 Wichtig ist auch anzumerken, dass Messungen von Leistungsparametern, wie Daueraufmerksamkeit, keine substanziellen Störungen bei Patient:innen mit chronischer insomnischer Störung zeigen. Dies sind Parameter, die sehr sensitiv gegenüber Schlafmangel sind.3 Wir gehen daher von einem im Wesentlichen intakten Schlaf-Wach-System bei Patient:innen mit einer insomnischen Störung aus.
Die insomnische Störung scheint sich in weiten Bereichen über die Zeit aufgrund von kognitiven, emotionalen und verhaltensbezogenen Faktoren zu entwickeln. Sie könnte somit eine grössere Nähe zu schlafbezogener Sorge und Angst haben als zu einem Schlafmangelsyndrom. Diese Information ist natürlich für die Behandlungsplanung wichtig.
Bei Patient:innen mit psychischen und körperlichen Erkrankungen sind Schlafstörungen sehr häufig. Hier entscheiden das klinische Bild und der Verlauf darüber, ob eine komorbide insomnische Störung diagnostiziert werden sollte. Bei andauernden, auch ausserhalb von Krankheitsepisoden bestehenden insomnischen Beschwerden, die durch eine andere Erkrankung nicht vollständig erklärt werden können, sollte eine komorbide Diagnose vergeben werden. Hier hat sich gezeigt, dass eine störungsspezifische Behandlung der insomnischen Störung mit der kognitiven Verhaltenstherapie der Insomie (KVT-I) über einen positiven Effekt auf Schlafwahrnehmung hinaus auch komorbid vorliegende Erkrankungen positiv beeinflussen kann.4
Kognitive Verhaltenstherapie der Insomnie (KVT-I)
Zur Behandlung der chronischen insomnischen Störung ist die KVT-I die Therapie der ersten Wahl.5 Ist sie nicht effektiv, kann die Gabe von Hypnotika erwogen werden. Die KVT-I kann als Einzel- oder Gruppenbehandlung oder auch digital angeboten werden. Typische Behandlungsprogramme umfassen zwischen vier und zwölf Sitzungen. Inhaltliche Bestandteile der KVT-I sind Interventionen zum schlafbezogenen Verhalten, Entspannungsübungen und die Veränderung dysfunktionaler Gedanken. Die empirische Evidenz für die Effektivität der KVT-I ist als sehr gut zu bewerten.6 Über verschiedene Therapiemodalitäten hinweg zeigen sich grosse Effektstärken auf den Schweregrad der Insomnie und die subjektive Schlafqualität, gemessen mit Schlaftagebüchern.
Dennoch gibt es Herausforderungen, die bewältigt werden müssen, bevor Patient:innen mit Insomnie optimal versorgt werden können, denn dies ist bislang nicht der Fall. Problematisch ist, dass aktuelle Versorgungsangebote oft primär auf ambulante Patient:innen ohne oder mit geringfügiger Komorbidität abzielen, jedoch nicht auf komplex erkrankte oder stationär behandelte Patient:innen. Als wichtigste aktuelle Herausforderungen sind hier die unzureichende Implementierung der KVT-I in der Versorgungslandschaft und die fehlenden Angebote für Patient:innen, die nicht auf KVT-I ansprechen, zu nennen.
Abb. 1: Aktuelle Herausforderungen und mögliche Lösungsstrategien in Bezug auf die verhaltenstherapeutische Behandlung der chronischen insomnischen Störung
Implementierungsbedarf
Trotz der bekannten Effektivität der KVT-I und trotz der Empfehlung als Therapie der ersten Wahl durch nationale und internationale Leitlinien ist die KVT-I in der klinischen Praxis unzureichend implementiert. Schweizer Umfragen zeigen, dass weniger als 10% der Hausärzt:innen Patient:innen mit insomnischer Störung eine KVT-I empfehlen.7
Wesentlich häufiger werden allgemeine Ratschläge zur «Schlafhygiene» oder Phytotherapeutika eingesetzt. Die wissenschaftliche Datenlage zeigt, dass beides bei der Mehrzahl der Patient:innen mit chronischer insomnischer Störung nicht ausreichend effektiv und als Alleinbehandlung unzureichend ist. Ausserdem ist anzumerken, dass «Schlafhygiene» ein normatives und therapeutisch nicht hilfreiches Konzept ist und dass es besser ist, Ratschläge individuell mit Patient:innen zu besprechen.
Für Phytopharmaka fehlt ein Wirksamkeitsnachweis. Ausserdem ist es problematisch, dass die Gabe beziehungsweise Einnahme in einem klassischen medikamentösen Modell bleibt und eine aktive Haltung von Patient:innen somit nicht gefördert wird.
Verantwortlich für die schlechte Implementierung der KVT-I ist vermutlich ein Zusammenspiel verschiedener Gründe. Dazu zählen unter anderem ein unzureichendes Wissen um KVT-I als Therapie der ersten Wahl, die oft langen Wartezeiten auf eine KVT-I, ein Mangel an entsprechend ausgebildeten Therapeut:innen sowie teils aufseiten der Ärzt:innen und Patient:innen eine Präferenz für Medikamente als scheinbar einfache und schnelle Problemlösung.
Digitale KVT-I
In den letzten Jahren wurden verschiedene Ansätze entwickelt, die zu einer verbesserten Implementierung beitragen könnten. Dazu gehören digitale KVT-I, verhaltenstherapeutische Kurzprogramme und Anpassungen für herausfordernde Behandlungssettings. Digitale KVT-I kann ähnlich effektiv sein wie die klassische KVT-I im persönlichen Einzel- oder Gruppensetting.8 Insbesondere wenn die digitale Intervention mit einem direkten Therapeut:innenkontakt kombiniert wird, lassen sich gute Effekte erzielen. Gleichzeitig werden Ressourcen gespart, was die Implementierung der KVT-I in der klinischen Praxis verbessern könnte. «Digitale KVT-I» ist dabei lediglich ein Überbegriff. Mögliche Umsetzungen sind vielfältig und umfassen das Internet als Kommunikationsplattform einer konventionellen Therapie (zum Beispiel via Videokonferenz oder E-Mail), digitale Anwendungen zur Unterstützung einer konventionellen Therapie (zum Beispiel mit Schlaftagebucheinträgen oder Entspannungsübungen via App) und die vollautomatisierte Selbsthilfe als Alleintherapie.
In Deutschland sind aktuell drei Programme als «digitale Gesundheitsanwendungen» zugelassen und auf Rezept erhältlich: HelloBetter Schlaf, Somnio und Somnovia. Die Programme basieren auf KVT-I und umfassen die gleichen Therapiebausteine wie die konventionelle Therapie. In Österreich ist die auf KVT-I basierende App sleep2 verfügbar, bislang jedoch nicht als Kassenleistung abrechenbar.9 Auch im englischsprachigen Raum gibt es entsprechende Programme, eines davon ist das mittlerweile umfassend wissenschaftlich untersuchte Sleepio.10 In der Schweiz ist aktuell kein entsprechendes Angebot verfügbar bzw. verschreibbar und über Krankenkassen abrechenbar.
«Become your own SLEEPexpert»
Ein anderer Ansatz, der ebenfalls zur Verbesserung der Implementierung beitragen könnte, ist die Entwicklung von angepassten KVT-I-basierten Programmen, die leichter implementierbar sein könnten. In der Akutpsychiatrie hat sich hier ein transdiagnostischer Ansatz durchgesetzt: Über verschiedene psychiatrische Erkrankungen hinweg können Patient:innen mit komorbider insomnischer Störung verhaltenstherapeutisch behandelt werden. Die Studienlage zeigt, dass KVT-I-basierte Ansätze auch bei Patient:innen mit komorbiden Störungen anwendbar und effektiv sind.4 Für Patient:innen mit schwereren Erkrankungen oder in einer akuten Krise eignen sich angepasste Programme, die leicht verständlich, auf das wesentliche reduziert und mit Unterstützung durch das Behandlungsteam umsetzbar sind.
Ein Beispiel ist das Programm «Become your own SLEEPexpert» aus unserer Arbeitsgruppe. SLEEPexpert hat das Ziel, Patient:innen mit Unterstützung der Behandlungsteams in die Lage zu versetzen, ihren Schlaf selbst zu verbessern. Ein weiteres Ziel ist es, die Überverschreibung schlafanstossender Medikation zu reduzieren. Das Programm wurde in Kooperation mit Patient:innen und Behandlungsteams für den klinischen Alltag entwickelt. Dabei konnten wir zeigen, dass es mit vorhandenen Ressourcen umsetzbar ist.11 Eine grundlegende Idee von SLEEPexpert ist es, Elemente der KVT-I für die Zielgruppe zugänglich zu machen. Hierfür wurde ein Kernelement herausgegriffen, dessen Wirksamkeit in besonderer Weise evidenzbasiert ist: die Bettzeitrestriktion, deren Effektivität als alleinige Intervention mittlerweile empirisch gut belegt ist.12Teilnehmenden Patient:innen mit einer insomnischen Störung wird im Rahmen einer Gruppensitzung Grundwissen zur Schlaf-Wach-Regulation vermittelt. Hierfür wird die Metapher eines Surfers genutzt: Um surfen zu können, muss der Surfer darauf warten, dass sich eine grosse Welle aufbaut. Genau wie beim Schlafen. Hier muss man abwarten, bis sich durch eine ausreichend lange Wachzeit ausreichend Schlafdruck aufgebaut hat. Im Gruppensetting wird mit teilnehmenden Patient:innen ein individuelles Schlaffenster erarbeitet, das in der elektronischen Patient:innenakte verschrieben wird. Die Patient:innen werden nachfolgend vom Behandlungsteam dabei unterstützt, ihr Schlaffenster umzusetzen und anzupassen. In einer ersten klinischen Beobachtung konnten wir eine Reduktion des Insomnie-Schweregrads nach Teilnahme am SLEEPexpert-Programm zeigen.11
Die an sich einfache verhaltenstherapeutische Intervention zeigte jedoch auch ihre Komplexität in der Umsetzung. Insbesondere die Gestaltung der Zeit ausserhalb des Betts wird von Patient:innen und Behandlungsteams oft als Herausforderung wahrgenommen. Wir beobachten in verschiedenen Settings und Kliniken, dass eine strukturierte Implementierung der Unterstützung des gesamten Behandlungsteams bedarf, über Berufsgruppen und Hierarchien hinweg. Nach einer erfolgreichen Teilnahme von über 500 Patient:innen mit schweren psychiatrischen Erkrankungen im akut-psychiatrischen stationären Setting wird das Behandlungsmanual aktuell publiziert.13
Das Programm wird in randomisiert-kontrollierten Studien weiter untersucht und mit einer Standardbehandlung im psychiatrischen Krankenhaus verglichen. Das Programm hat ausserdem das Potenzial, auf andere komplexe ambulante, teilstationäre oder stationäre Behandlungssettings ausgedehnt zu werden, wie zum Beispiel den Bereich der somatischen Rehabilitation oder andere.
Angebote für Non-Responder
Etwa 75–80% der behandelten Patient:innen mit chronischer insomnischer Störung sprechen gut auf KVT-I an.14 Bei Patient:innen mit Komorbiditäten ist der Anteil niedriger. Diese Responserate ist gut, bedeutet aber auch, dass eine relevante Anzahl an Patient:innen auch nach einer Lege-artis-Behandlung weiterhin mit Schlafproblemen zu kämpfen hat.
Die europäische Behandlungsleitlinie empfiehlt, wenn die KVT-I nicht effektiv ist, eine medikamentöse Behandlung zu evaluieren.5 Benzodiazepine und Benzodiazepin-Rezeptor-Agonisten können zur Kurzzeitbehandlung einer akuten Insomnie effektiv sein, wobei die Einnahme auf einen Zeitraum von bis zu vier Wochen limitiert sein sollte. Eine insomnische Störung, die auch nach KVT-I nicht remittiert, erfordert jedoch in der Regel eine längerfristige Behandlung. Hierfür sind Benzodiazepine und Benzodiazepin-Rezeptor-Agonisten nicht geeignet, da bei langfristigem regelmässigem Gebrauch häufig eine Toleranzentwicklung mit Wirkverlust eintritt und auch das Risiko für eine Dosiseskalation und Abhängigkeitsentwicklung gegeben ist. Alternativ können sedierende Antidepressiva, wie Trazodon oder Trimipramin, oder der Orexin-Rezeptor-Antagonist Daridorexant angeboten werden. Allerdings liegen auch für diese Substanzen keine Daten zu Langzeitbehandlung und möglichen unerwünschten Effekten vor.
Eine psychologische Alternative zur KVT-I wird in den Leitlinien bislang nicht klar empfohlen. Die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) könnte eine solche psychologische Alternativbehandlung darstellen. Es handelt sich ebenfalls um eine Verhaltenstherapie, die jedoch auf leicht anderen Grundannahmen aufbaut und andere therapeutische Interventionen nutzt.
Empirische Befunde und klinische Erfahrung legen nahe, dass bei der chronischen insomnischen Störung eine hohe Eigendynamik besteht: Betroffene fokussieren auf das Thema Schlaf und verspüren Angst vor der Schlaflosigkeit. Eine damit einhergehende emotionale Anspannung erschwert das Einschlafen und fördert einen leichten, störungsanfälligen Schlaf.
In der ACT wird versucht, diesen Teufelskreis mit Metaphern, Erfahrungsübungen und Verhaltensexperimenten zu den Themen Akzeptanz und wertebasierte Lebensgestaltung zu durchbrechen. Neue empirische Daten zeigen, dass ACT bei Patient:innen mit Insomnie eingesetzt werden kann und effektiv ist. ACT als Alleinbehandlung ist effektiver als eine Wartebedingung, jedoch nicht so effektiv wie KVT-I.15 ACT kann gut mit der Bettliegezeitrestriktion kombiniert werden und war in dieser Anwendungsform in einer ersten vergleichenden Studie ähnlich effektiv wie KVT-I.16 Bislang stehen jedoch noch randomisiert-kontrollierte Studien aus, die die ACT direkt bei Non-Respondern auf KVT-I untersuchen.
Fazit
Die chronische insomnische Störung ist ein häufiges Gesundheitsproblem, das durch eine Wahrnehmung eines gestörten Schlafs und eine damit einhergehende reduzierte Tagesbefindlichkeit charakterisiert ist. Die Therapie der ersten Wahl ist die KVT-I. Obwohl die Effektivität der KVT-I wissenschaftlich gut belegt ist, wird diese in der klinischen Praxis häufig nicht angewandt. Patient:innen werden stattdessen häufig mit Medikamenten behandelt, was mit einem Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen sowie teils Toleranz- und Abhängigkeitsentwicklungen verknüpft ist.
Zur verbesserten Implementierung der KVT-I könnten digitale Therapieangebote sowie leicht umsetzbare Anpassungen für herausfordernde Behandlungssettings beitragen, wie zum Beispiel das Programm SLEEPexpert. Für Patient:innen, die nicht ausreichend gut auf KVT-I ansprechen, könnte die ACT einen alternativen Behandlungsweg darstellen. Eine systematische Diagnostik und Behandlung insomnischer Störungen hat das Potenzial, Schlaf sowie andere Gesundheitsparameter und Lebensqualität zu verbessern.
Literatur:
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